WAVE-GOTIK-TREFFEN 2017

Ein Reisebericht zum Wave-Gotik-Treffen 2017 in Leipzig

(Sämtliche unsere Fotos zum WGT sind auch in unserer Galerie zu finden.)

Der Donnerstag Abend bietet am Wave-Gotik-Treffen eine breite Palette an Eröffnungspartys. Letztes Jahr, zum 25-Jahr-Jubiläum, gab es zusätzlich einen speziellen Anlass im Freizeitpark Belantis, welchen man fast nicht verpassen durfte. Dieses Jahr hiess es somit, wieder zwischen den bekannten Angeboten in der Moritzbastei, dem Dark Flower, im Felsenkeller und anderen Locations zu wählen. Die persönliche Wahl fiel auf die Dunkelromantische Eröffnungstanznacht der Blauen Stunde, welche jeweils auf einer Wiese unweit des Agra-Geländes statt findet. Die "Atmosphärische Veranstaltung für Träumer und Dunkelromantiker" (Zitat von der Website) ist der Ort für jene, welche einen ruhigen, besinnlichen Start unter klarem Sternenhimmel (sofern das Wetter mitspielt) bevorzugen.

Am Freitag Nachmittag führte der erste Programmpunkt in den Volkspalast zum Konzert von Der Blaue Reiter. Im charmevollen Ambiente der Kuppelhalle erklangen apokalyptische Töne und Musik, die sich inhaltlich teilweise um das selbstverursachte Ende der Menschheit drehte. Ganz soweit ich es zwar noch nicht, mit Der Blaue Reiter haben wir aber auf jeden Fall den passenden Soundtrack bis dahin.
Der Blaue Reiter - Eyes of the Lost

Anschliessend ging es ins Schauspielhaus zu In Gowan Ring. Diese Band stand persönlich ganz weit oben in der diesjährigen To-Watch-Liste. Mit ihrem Auftritt hätten sie genau so gut auch an ein Hippie-Festival gepasst. Da die Schwarze Szene aber bekanntlich fliessende Grenzen und eine hohe Diversität hat, kann auch Musik aus den Randbereichen der Szene reges Interesse auslösen. Das gut gefüllte Schauspielhaus zeugte davon, dass dies hier der Fall war. In den folgenden 70 Minuten durfte man erleben, wie sechs barfüssige Musiker mit hoher Sensibilität ihre Instrumente spielten und Lieder über Bäume und Blätter sangen. Amüsant wurde es, als B'ee, Sänger und Songwriter, die Geschichte erzählte, wie ein intensiver Drogentripp zur Entstehung eines der Lieder führte. Da fiel dann auch wieder ein, warum die Musik von In Gowan Ring unter anderem als Psychedelic Folk bezeichnet wird.
In Gowan Ring - Field Of Dream

Als abschliessende Party für den heutigen Tag führte der Weg nochmals in den Volkspalast, wo in der Kantine, dem Nebengebäude, unter dem Namen Apocalyptic Blue eine Neofolk-Party stattfand.

Selbst nach so einigen Jahren am WGT gibt es nicht nur musikalisch, sondern auch örtlich nach wie vor Neues zu entdecken. So ging es am frühen Samstag Nachmittag zum Konzert von Trobar De Morte in der Kirchenruine Wachau, welche etwas ausserhalb der Stadt liegt. Online gesehen dürften diesen Ort schon viele Festivalbesucher haben, denn er schmückt als Hintergrundbild die Website des WGT. Gross Zeit zur Erkundung blieb aber nicht, denn bei Ankunft waren in der Kirchenruine schon alle Stühle besetzt und die noch hinzustossenden Besucher begannen sich vor der Bühne sitzend und in anderen Nischen zu platzieren. Kurz darauf war es dann so voll, dass manche leider nur noch von draussen lauschen konnten. Das Konzert selbst war bezaubernd und zu so einigen Liedern hätte man lieber getanzt, als in einer Menschenmenge eingepfercht zu sitzen. Nur eine Minute nach Konzertende begann ein heftiger Regenschauer und die Besucher suchten unter Bäumen und in Nebengebäuden Schutz, da die Kirchenruine selbst kein Dach mehr hat.
Trobar de Morte - The Wolf (Live-Mitschnitt des Konzerts am WGT)

Nach etwas Wartezeit hörte der Regen jedoch auf und es bot sich die Gelegenheit, ganz spontan noch ein paar Fotos in der Kirche und auf dem umliegenden Gelände zu machen.

Am Abend ging es zu Sylvaine ins Alte Landratsamt, einer der stickigeren Veranstaltungsorte am WGT mit jeweils zum fotografieren schwierigen Lichtverhältnissen auf der Bühne. Aber man geht ja wegen der Musik hin. Die ihrige bezeichnen Sylvaine als Atmospheric Post-Metal - und das passt recht gut. Hier konnte man abtauchen und wegtreiben.
Sylvaine - Earthbound

Für das letzte Konzert des Abends ging es ins Schauspielhaus zu Spiritual Front. Der Andrang war sehr gross und auch hier gab es nicht mehr für alle Platz. Und dies, obwohl es kein konventionelles, sondern ein akustisches Konzert war - was erfahrungsgemäss eher etwas weniger Besucher anzieht (zumindest in der Schweiz). Simone Salvatori so zu hören, war ungewohnt, seine Gesangskünste vermochten jedoch sehr zu überzeugen.
Spiritual Front - Song for the old man

Zum Abschluss des Tages ging es zu Hundred Shades of Romance ins Schwarz10. Es war der persönlich erste Besuch in dieser Location und das Erkunden dieser wurde auf den Folgetag verschoben, da aktuell das Tanzbedürfnis im Vordergrund stand. Auf der äusserst dunklen Tanzfläche, welche fast nur durch am Rand stehende elektrische Teelichter beleuchtet wurde, kam ein starkes Underground-Feeling auf. Hier wurde eine Alternative zum Dunkelromantischen Tanz geboten, welcher im Vorjahr hinsichtlich Musikauswahl nicht so recht zu überzeugen vermochte.

Wichtiger Bestandteil des WGT sind nebst Konzerten und Partys auch die vielen Kleinkulturangebote von Lesungen bis hin zu Theateraufführungen. So führte der Sonntag Nachmittag ins Haus Leipzig, wo unter anderem Thomas Manegold auf der Bühne stand. Mit satirischen, zynischen und humorvollen Texten bot er neue Betrachtungsweisen auf die Geschichte der Menschheit und deren Handeln auf dieser Welt. Das Publikum war sichtlich amüsiert.

Anschliessend folgte ein Vortrag von Honey (Welle:Erdball) über Computerspiele auf dem C64 und über die überschätzte Bedeutung von Grafikqualität in Bezug auf Spielspass. Um etwas Interaktivität einzubringen, wurden zehn Zuhörer ausgewählt, welche in zwei Teams gegeneinander antraten. Dabei wurden mehrere Spiele ausgewählt, bei welchen einzeln gespielt wurde mit dem Ziel, eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen. Da die spontanen Teilnehmer die Spiele noch nicht kannten und diese teilweise alles andere als einfach waren, dauerten manche Runden nur sehr kurz - unterhaltsam für das Publikum war es dennoch. Zum Schluss sang Honey noch zwei Lieder, welche vollständig auf dem C64 programmiert worden waren.

Als nächstes im Haus Leipzig stand Christian von Aster auf dem Programm, welcher aber die erste Kurzgeschichte einem Nachwuchsautor überliess. Danach legte er mit seinen eigenen Geschichten los. Die erste über eine geheimnisvolle Kaffeestube war ein Mix aus historisch belegten und frei erfundenen Elementen - eine bei Christian von Aster äussert beliebte Methode der Geschichtenerzählung. Aus zeitlichen Gründen musste die Lesung anschliessend leider vor ihrem Ende verlassen werden.

Erneut führte die eigene Programmliste ins Schauspielhaus. Diesmal standen dort Myrkur auf der Bühne. Schon am Tag zuvor traten sie im Heidnischen Dorf auf, wo sie aber ein Metal-Set spielten. Im Schauspielhaus bekam man die akustischen Versionen ihrer Lieder zu hören. Äusserst ruhig, besinnlich und verträumt klangen diese. Umso interessanter wäre es gewesen, auch am Vortag ihr Konzert zu sehen, um die Kontrast zu den Metal-Versionen zu hören.
Myrkur - Två Konungabarn

Für die Party des hiesigen Abends ging es erneut ins Schwarz10. Diesmal lautete die Veranstaltung "Der letzte Wunsch des Dschinns, Tribal-Gothic-Tanznacht". Bei diesem Ort handelt es sich um ein Projekthaus, in welchem alternative Lebensformen gepflegt werden. An diversen Aushängen konnte man sich nebst dem Programm des Abends auch über die Philosophie dieser Einrichtung informieren. Nebst der Party selbst gab es noch eine Ausstellung zum Thema Matriarchat zu sehen und als Verpflegung wurde vegane Pizza angeboten. Auf der Tanzfläche wurden zwischendurch Tanzperformances aufgeführt und um zwei in der Nacht fand auf der Strasse vor dem Haus eine Feuershow statt. Die Musikauswahl fiel übrigens recht multikulturell aus und schweifte gerne mal vom schwarzen Spektrum ab. Diese Party, welche ja eigentlich viel mehr als nur dies war, bleibt sicher als eine der interessanteren in Erinnerung.

Am Montag, dem letzten Tag des Festivals, ging es zum vierten Mal ins Schauspielhaus, wo diesmal mit Annwn eine Pagan-Folk-Band auf der Bühne stand. Man fühlte sich ein klein wenig an das Konzert von Myrkur am Vortag erinnert - nur dass die lebhaft verträumte Musik bei Annwn teilweise ein gutes Stück wilder ausfiel.
Annwn - Eternity

Am Abend ging es dann noch ins Heidnische Dorf, welches bei jedem WGT immer einen Besuch wert ist. Aufgrund des regnerischen Wetters waren nicht ganz so viele Leute dort wie an sonnigen Tagen.

Auf der dortigen Hauptbühne traten Folk Noir auf, welches ein Nebenprojekt von Mitgliedern von Faun ist. Womit man auch in etwa abschätzen kann, wie es klingt - zumal der Bandname selbsterklärend für die Musik steht. Als ein aufgeblasenes Kondom über das Publikum schwebte, manche Zuschauer Seifenblasen in die Luft pusteten, der Regen nachliess, sich das Abendrot zeigte und auch noch ein Regenbogen am Horizont erschien, war da plötzlich dieser unglaublich kitschige Moment voller Festivalromantik und abstruser Harmonie. Diese Szenerie miterlebend und auf die klischeehafte Düsterkeit der Gruftie-Szene anspielend, meinte Oliver Tyr auf der Bühne scherzeshalber nur noch "Das WGT ist auch nicht mehr, was es mal war". Wäre das WGT an dieser Stelle vorbei gewesen, es wäre ein perfektes Ende gewesen.
Folk Noir - Dear Misery

Aber ein spezielles Konzert im Kohlrabizirkus stand noch auf dem Programm. Dorsetshire wurde 1992 gegründet und löste sich 1998 auf. Nach 19 Jahren nun stand die Band im Rahmen ihrer Reunion gleich am WGT auf der Bühne und liess ihre Zuhörer mit ihren Szene-Hits von damals in Erinnerung schwelgen. Auch diverse Gastmusiker von damals kamen für einzelne Lieder auf die Bühne und machten den gesamten Auftritt zu einem gelungenen Konzert-Highlight zum Schluss des Festivals.
Dorsetshire - Strasse der Verdammnis (20-Jahre-Dorsetshire-Remix)

Für die letzte Party schliesst sich dann der Kreis erneut mit der Blauen Stunde - diesmal nicht auf der Wiese hinter dem Agra-Gelände, sondern in einem Privathaus in der Umgebung. Ein letztes Mal bei Kerzenlicht zu dunkelromantischer Musik tanzen, sich von neuen und alten Freunden verabschieden.

Mit 21'000 Besuchern endete somit ein weiteres eindrückliches Wave-Gotik-Treffen in Leipzig, von welchem viele gute Erinnerungen nach Hause genommen werden können. Gibt es etwas Schlechtes zu berichten? Ja. Beim Konzert von Trobar De Morte wurden beim Eingang aktiv gratis Bibeln angeboten, also die Besucher angegangen, ob sie eine haben möchten. Solche Formen der religiösen Missionierung müssten echt nicht sein. Aber wenn dies das einzige Ärgernis am Festival ist, dann ist es in der Gesamtbilanz eine gelungene Veranstaltung. Bis im nächsten Jahr, Leipzig!

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